„Selten waren Grünräume derart gefragt wie seit Beginn der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden Konfrontation mit einem eingeschränkten Bewegungsradius. Vor allem in den Großstädten fehlt vielen Menschen die Möglichkeit, in unmittelbarer Nähe raus aus der häuslichen Enge ins Grüne zu flüchten.“1 Andererseits schreitet die Urbanisierung immer weiter voran, die Städte werden nicht nur dichter, sondern auch flächenmäßig immer größer. Und: „Neueste Studien belegen sogar die Korrelation zwischen Bevölkerungsdichte, Hitzeinseln und der Häufigkeit von COVID-19-Infektionen. Dennoch ist es keine Alternative, so Richard Sennett in „Die offene Stadt“, aufgrund der Klimaveränderungen nicht zu bauen, sondern es sollte auf Anpassung und Reparatur der Stadt fokussiert werden. Die Begrünung der Gebäudehülle ist eine Möglichkeit, die Stadtlandschaft zu reparieren. Zahlreiche Studien belegen die messbare Veränderung stadtklimatischer Faktoren, sobald Grün über die Parks, Höfe und Vorgärten hinaus die Architektur erobert“.2 In großem Umfang wurden Bauwerksbegrünungen erstmals in den 1960er- und 1970er-Jahren eingesetzt, damals aus ästhetischen Gründen, um die neu entstandenen, sehr großen Baumassen in ihrer optischen Erscheinung abzumildern und aus Gründen der Wohnqualität, um auch in den oberen Geschossen noch eine gewisse Naturverbundenheit zu bewahren. Diese Projekte - so zahlreich sie auch sind - muss man in ihrer überwiegenden Mehrheit jedoch als misslungen bezeichnen, da die grundlegenden Voraussetzungen Bewässerung, Düngung, Unterhaltung und Pflege nicht gewährleistet wurden. Die Fragestellung lautet deshalb: Können diese Gebäude und ihre Begrünungsprojekte ein 2. Chance haben und sind sie mit dem Wissen und der Technik von heute - also 50 Jahre später - noch zu retten oder wieder zu beleben? In einem ersten Schritt eignen wir uns gemeinsam das Fachwissen an, wie man mit botanischer Kenntnis und dem heutigen Stand der Technik solche Begrünungsprojekte revitalisieren kann. Die Referate zu den von uns vorgegebenen Themen werden zu einem Reader zusammengefasst, der jedem Teilnehmenden des Seminars als pdf-Datei zur Verfügung stehen wird. Danach werden wir uns in der Region - also im Sieger- und Sauerland - auf die Suche nach den o.g. „missglückten Projekten“ der 1960er- und 1970er-Jahre machen und Beispiele sammeln: Fassaden mit großen (Beton-) Blumenkübeln ohne Pflanzen, Rankgerüste, die schon seit Jahren als unnützes Gestänge ohne Bewuchs vor sich hin gammeln und Terrassenhäuser, die einst von Bauträgern und ihren Architekten als „grüne Hügel in der Landschaft“ propagiert wurden, aber bis heute kahl geblieben sind. Im einem kleinen Entwurfsprojekt sollen dann Vorschläge erarbeitet werden, wie für eines dieser konkreten Objekte eine Lösungsstrategie und deren Umsetzung aussehen könnte. 1 Einfach Grün. Handbuch für Gebäudegrün, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt a.M. , 2021, S.5 2 ebenda, S.6